27.02.2020
Die Reiner Lemoine Stiftung (RLS) hat einen umfangreichen Vorschlag für ein neues Energiemarktdesign vorgelegt. In 12 Punkten erklärt sie, wie Versorgung, Netze, Handel und Erzeugung zukünftig gestaltet werden sollen. Sie fordert einen energiepolitischen New Deal, der das Korsett des Konventionellen Energiesystems aufbricht und die Grundlogiken des Energiemarkts von der Zukunft her denkt. Fundamental sind dafür der massive Ausbau von Solar- und Windkraftwerken, die Etablierung von vernetzten Versorgungszellen und ein Kapazitätsmechanismus für die netzgebundene Stromerzeugung.
Erneuerbare Elektrifizierung verdreifacht den Strombedarf
Klimakrise, Dekarbonisierung, Elektrifizierung des Wärme- und Verkehrssektors: Um den zukünftigen Strombedarf in Deutschland in Höhe von 1650 Terawattstunden im Jahr zu decken, bedarf es einer Verfünffachung der Wind- und eine Verzehnfachung der PV-Kapazitäten. Darin liegt auch eine ökonomische Chance: Durch lokale Wertschöpfung und Beteiligung können bislang importierte fossile Energieträger zunehmend durch die heimische Sonnen- und Windenergie ersetzt werden.
Vor-Ort-Versorgung entfesselt die individuelle Ökonomie der Flexibilität
Mit dem Bedeutungsgewinn des Stromsektors steigt auch das Volumen des Netzstroms. Jedoch sind Netze zukünftig nur noch ein Teil der Lösung. Rund ein Drittel des Stroms muss bereits lokal erzeugt, gespeichert und verbraucht werden. Die politischen Weichen sind so zu stellen, dass die Versorgung vor Ort fundamental liberalisiert wird. D.h. es braucht in den neuen Versorgungszellen, also „hinter dem Zähler“, einen weitgehenden Verzicht auf Förderung, Abgaben und Bürokratie. Und es muss ein Markt entstehen, der diese vernetzten Zellen miteinander verbindet.
Eberhard Holstein, langjähriger Energiemarktexperte und Kuratoriumsmitglied der RLS: „Ein Erneuerbares Energiesystem ist technisch ohne weiteres möglich. Dafür müssen wir den Ausbau vor Ort entfesseln. Bis zum Netzanschlusspunkt sollte jeder machen können, was er will. So entsteht in Mietshäusern, Quartieren oder Gewerbegebieten eine individuelle Ökonomie der Flexibilität. Wer die eigene Stromerzeugung ausbaut und gleichzeitig Lastspitzen abfedert, wird belohnt. Das gibt den dringend benötigten Anreiz, lokal in die erneuerbare Sektorenkopplung zu investieren.“
Erneuerbarer Kapazitätsmarkt setzt Anreize in der Null-Grenzkosten-Stromwirtschaft
„Zudem brauchen wir bei steigenden Anteilen erneuerbarer Energien ein neues Vergütungssystem: Dafür muss ein Erneuerbarer Kapazitätsmarkt mit Grundpreisen für bereitgestellte Strommengen geschaffen werden“, so Holstein weiter.
Hintergrund dafür ist, dass durch den Übergang in das Erneuerbare Energiesystem mit niedrigen Grenzkosten produzierte Kilowattstunden immer häufiger an Wert verlieren werden. Zusammen mit CO2-Abgaben soll der Grundpreis zukünftig den netzgebundenen Zubau von Erzeugungskapazitäten anreizen. Dies muss durch eine staatlich orchestrierte Steuerung erfolgen, ausgerichtet an den Verbrauchszentren und der Netzsituation.
Projekt EnergieSystemWende
Das Diskussionspapier basiert auf Überlegungen der Akteure der Reiner Lemoine Stiftung und wurde im intensiven Austausch mit zahlreichen, langjährigen Energiemarktexpert:innen entwickelt. Die Reiner Lemoine Stiftung setzt sich dafür ein, die EnergieSystemWende zukunftsorientiert zu gestalten. Das nun vorgelegte Diskussionspapier beschreibt eine Zielvision für das Erneuerbare Energiesystem. Im Februar ist in Kooperation mit der Stiftung Neue Verantwortung bereits ein Policy Brief erschienen, das veraltete Denkmuster beschreibt, die die Energiewende blockieren. Darin wird ein Umdenken und Paradigmenwechsel empfohlen. Im Herbst letzten Jahres hatte die RLS bereits eine Übersichtsstudie zur EnergieSystemWende vorgelegt, die systemische Hemmnisse und Lösungsansätze beschreibt.
Hier geht’s zum RLS-Diskussionspapier (Februar 2020): New Deal für das Erneuerbare Energiesystem. https://www.reiner-lemoine-stiftung.de/aktivitaeten/#new-deal